„Meine erste Akademie, privat“
Am 9. Februar 1784 trägt Wolfgang Amadeus Mozart das erste Werk in sein „Verzeichnüß aller meiner Werke“ ein. Es scheint zu markieren, dass er seine Existenz als freischaffender Künstler in Wien nun als gefestigt ansieht. Er wird dieses Verzeichnis bis kurz vor seinem Tod führen, die letzte Eintragung erfolgt am 15. November 1791, drei Wochen vor seinem Tod, mit der Nummer 145, der „Kleinen Freimaurer-Kantate“. Das erste Werk im eigenhändigen Werkkatalog aber ist das Klavierkonzert in Es-Dur KV 449.
Was ist das für ein Werk, Mozarts ‚offizielle Nummer 1‘? Welche Entstehungsgeschichte hat es und wie wurde es uraufgeführt? Die Europäischen Wochen Passau rekonstruieren das Konzert vom 17. März 1784, als Mozart selbst sein Konzert in Es-Dur KV 449 zum ersten Mal öffentlich spielte, in der Kapelle des Trattner Hofes in Wien. Mit dem Freiburger Barockorchester konnten die EW dafür eines der führenden Ensembles für historische Aufführungspraxis gewinnen. Der Hammerklavierexperte Kristian Bezuidenhout leitet das Konzert vom historischen Flügel aus, wie Mozart es selbst am 17. März 1784 tat.
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Hintergründe zum Konzert
- Akademie im Trattnerhof
- Die Kapelle und der private Konzertsaal
- Mozarts Eintrittspreis
- Das rekonstruierte Programm
- Das Konzert Es-Dur KV 449
- Billet in Mozarts eigener Handschrift
Die Akademie im Trattnerhof
Die ersten Monate des Jahres 1784 sind randvoll mit Konzerten, an denen Mozart als Klaviervirtuose und Interpret eigener Werke mitwirkt. In einem Brief vom 20. März 1784 berichtet er seinem Vater stolz über die vielen Auftritte, vielleicht auch, um ihn vom wirtschaftlichen Wohlergehen seiner Existenz in Wien zu überzeugen.
„Donnerstag den 26sten Febr. beym Gallizin.
Montag den 1sten März beym Joh. Esterhazy.
Donnerstag den 4ten März beym Gallizin.
Freytag den 5ten März beym Esterhazy.
Montag den 8ten März beym Estherhazy.
Donnerstag den 11ten März beym Gallizin.
Freitag den 12ten März beym Esterhazy.
Montag den 15ten März beym Estherhazy.
Mittwoch den 17ten März meine erste Akademie, Privat.
Donnerstag den 18ten März beym Gallizin.
Freytag den 19ten März beym Esterhazy.
Samstag den 20sten März beym Richter.
Sonntag den 21sten März meine erste Akademie im Theater.
Montag den 22sten März beym Esterhazy.
Mittwoch den 24sten März meine zweyte Privat-Akademie.
Donnerstag den 25sten März beym Gallizin.
Freytag den 26sten März beym Esterhazy.
Samstag den 27sten März beym Richter.
Montag den 29sten März beym Esterhazy.
Mittwoch den 31sten März meine dritte Privat- Akademie.
Donnerstag den 1sten April meine zweyte Akademie im Theater.
Samstag den 3ten April beym Richter.“
Mozart beendet die Auflistung mit der Frage: „Habe ich nicht genug zu thun? Ich glaube nicht, daß ich auf diese Art aus der Übung kommen kann.“ Fast täglich ist Mozart bei einer anderen „Akademie“ zu Gast. Und einige veranstaltet er auch selbst, darunter drei Akademien im Trattnerhof, wo Mozart just zu dieser Zeit auch selbst wohnte, in einer etwa 60 Quadratmeter großen Wohnung im dritten Stock. Der Trattnerhof war ein Gebäude in der Wiener Innenstadt, in Sichtweite vom Stephansdom am heutigen Großen Graben gelegen, das 1776 als Investitionsobjekt vom Wiener Geschäftsmann Johann Thomas von Tattner errichtet worden war. Architekt war Peter Mollner. In dem sechstöckigen Mehrzweckgebäude waren Ladengeschäfte, Wohnungen, zwei Innenhöfe, Versorgungsbrunnen und eine Privatkapelle untergebracht, die seit 1783 nicht mehr für liturgische Zwecke verwendet wurde, nachdem Joseph II. Gottesdienste in Privatkapellen verboten hatte. Der Geschäftsmann und Immobilieneigentümer Johann Thomas von Trattner wandelte die Kapelle kurzerhand in einen Konzertsaal um und stellte sie Virtuosen für die Veranstaltung von Konzerten zur Verfügung, unter anderem einem „Claviermeister Richter“. Dieser gewann Mozart dafür, in seinen Samstagskonzerten mitzuwirken – als Gegenleistung organisierte Richter drei Abonnementkonzerte für Mozart. Seinem Vater berichtet Mozart davon wie folgt: „Nun muß ich Ihnen geschwind noch sagen, wie es herging, daß ich so in einem Privatsaale Akademieen gebe. Der Claviermeister Richter giebt nämlich im benannten Saale die sechs Samstage Concert. Die Noblesse subscribirte nur mit dem Bemerken, daß sie keine Lust hätte, wenn ich nicht darin spielte. Hr. Richter bat mich darum: ich versprach ihm, drey Mal zu spielen, und machte auf drey Concerte für mich Subscription, wozu sich Alles abonnirte.“ Von der ersten Akademie berichtet er seinem Vater: „Die Erste Academie am 17ten dieses ist glücklich abgelauffen – Der Saal war angesteckt voll. – und das Neue Concert so ich gespiellt hat ausserordentlich gefallen. und wo man hinkommt hört man diese academie loben.“
Die Kapelle im Trattnerhof
Die Kapelle war vor ihrer Profanierung ausgestattet mit skultpuralem Dekor sowie drei Altären, wovon der Hauptaltar den Heiligen Georg zeigte, ein Gemälde aus der Hand des Wiener Malers Anton Maulpersch. Schließlich verfügte die Kapelle über eine Orgel ohne Pedal. Wie die Kapelle nach ihrer Profanierung und den Umbau zum Konzertsaal aussah, ist leider nicht bekannt, außer dass ihre Höhe um ein Stockwerk reduziert wurde, weil im Erdgeschoss eine weitere Wohnung an ihrer Stelle eingerichtet wurde. In der ursprünglichen Kapelle hatten drei Kronleuchter für Beleuchtung gesorgt, die vielleicht auch im Konzertsaal Licht brachten. Fenster zum kleinen Innenhof ließen Tageslicht in den Saal, wenn auch vermutlich nicht viel, da der Innenhof, auf den sie gerichtet waren, eng war. Die Grundfläche des Raum betrug gerade einmal 86m², wie Berechnungen des Musikhistorikers Michael Lorenz zeigen. Daraus kann man schlußfolgern, dass ein Großteil des Publikums – immerhin 174 Subskribenten – bei Mozarts Privatakademien gestanden haben muss und diese Konzerte folglich von nicht allzulanger Dauer gewesen sein können.
Der Eintrittspreis
Mozart verlangte für die drei Subscriptionskonzerte sechs Gulden Eintritt. Welchem Eintrittspreis entspricht das in heutiger Währung? Einen Eindruck von der Kaufkraft des Guldens im Jahr 1784 ergibt sich aus einem Vergleich zur Miete. Mozart zahlte für seine 60-Quadratmeter-Wohnung im Trattnerhof 130 Gulden im Jahr, pro Monat also knapp 11 Gulden. Zwei „Subscribenten“ finanzierten demnach etwa eine Monatsmiete.
Setzt man Mozarts Mietkosten von 1784 in Bezug zu heutigen Wiener Mietpreisen, ergibt sich folgendes Verhältnis: Mozart zahlte für zwei Zimmer, Küche und Bad mit 61,09 m² in der Wiener Innenstadt monatlich 10,83 fl. Im Jahr 2024 kostet ein Quadratmeter Wohnfläche in der Wiener Innenstadt einen durchschnittlichen Preis von 22 €/m² (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/900379/umfrage/preise-fuer-wohnungen-zur-miete-in-wien-nach-bezirken/). Mozart hätte heute also etwa 1300 € für seine Wohnung bezahlt, woraus sich pro Gulden eine Kaufkraft von rund 120 € ergäbe. Demnach hätte der Abonnementpreis für Mozarts Trattnerhof-Konzerte in heutiger Währung 720 € betragen und 240 € pro Konzert.
Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man den Weizenpreis zugrundelegt. Ein Metzen Weizen (61 l bzw. ca. 46 kg) kostete laut Wiener Zeitung vom 17. März 1784 zwischen 33 und 36 Groschen (ca. 1,65 Gulden). In Verhältnis gesetzt zum heutigen Weizenpreis (ca. 0,225 Euro/kg) wäre ein Gulden heute nur etwa 6,32 Euro wert. In diesen unterschiedlichen Umrechungsresultaten drückt sich aus, wie viel günstiger heute der Weizenpreis ist. Zu Mozarts Zeit bekam man für die Monatsmiete einer 60m²-Wohnung in der Wiener Innenstadt ca. 300 kg Weizen, im Jahr 2024 dagegen etwa 5700 kg Weizen.
Das Programm – Rekonstruktion und Mutmaßungen
Das „neue Concert“, das Mozart am 17. März 1784 spielte, war das Konzert in Es-Dur, KV 449, welches er am 9. Februar 1784 vollendet und als Nummer 1 in sein neues Werkverzeichnis eingetragen hatte. Es hatte „außerordentlich gefallen“, wie Mozart dem Vater schreibt. Welche Werke sonst zur Aufführung gelangten, ist nicht überliefert. Zu ewarten ist aufgrund der Gepflogenheiten, dass auch eine Symphonie auf dem Programm stand. Die EW haben sich für eine Sinfonie in G-Dur entschieden, die in einer Partitur in Mozarts Handschrift aus dem Jahr 1783 vorliegt. Ludwig von Köchel hatte ihr die Verzeichnisnummer 444 gegeben und sie als Nr. 37 gelistet. Seit 1907 ist bekannt, dass nur die langsame Einleitung von Mozart selbst stammt, während die anderen Sätze von seinem Freund Michael Haydn (1737-1806) im Mai 1783 komponiert worden waren. Aus zwei Gründen erfolgte die Entscheidung für diese Sinfonie im Rahmen der Rekonstruktion des Konzerts vom 17.3.1784: Zum Einen weist sie die gleiche Besetzung wie das Klavierkonzert KV 449 mit Streichern, zwei Oboen und zwei Hörnern auf (die Linzer Symphonie vom November 1783 setzt etwa Pauken und Trompeten voraus), zum Anderen ist sie, neben der Linzer, zeitlich die nächste Niederschrift einer Symphonie zum Konzert im Trattnerhof.
Vermutlich hat Mozart außerdem am Klavier improvisiert; beim EW-Konzert kommt stattdessen auf Wunsch des Interpreten das Klavierkonzert „Jenamy“ KV 271 zur Aufführung.
Das Konzert Es-Dur KV 449
Mozart widmete das Konzert seiner Meisterschülerin Barbara Ployer. Die erste Hälfte des erste Satzes hatte Mozart bereits 1782 geschrieben, das Konzert dann aber beiseite gelegt. Als sich ein neuer Verwendungszweck als Virtuosenkonzert für seine Schüler und sich selbst auftat, nahm Mozart die Arbeit daran wieder auf.
Das Konzert hat, wie seit der Barockzeit üblich, drei Sätze in der herkömmlichen Folge schnell-langsam-schnell (Allegro Vivace, Andantino, Allegro ma non troppo). Im ersten Satz beschenkt uns Mozart gleich mit drei Themen, die miteinander auf verschiedenste Weise kontrastieren, wobei das zweite und dritte Thema in der Dominante B-Dur stehen und eine Art Einheit gegenüber dem ersten Thema bilden. Sie sind mit ihrer ruhigen, sanglichen Eleganz ein Gegenpol zum ersten Thema, das nicht besonders fasslich erscheint und auch gleich von Es-Dur nach c-Moll ausweicht – es sorgt sozusagen gleich zu Beginn für solche Unruhe, dass es nach seiner Einführung erst einmal viele Takte braucht, um die Tonart Es-Dur zu bestätigen. Der erste Satz ist dreiteilig konzipiert. Zunächst stellt das Orchester 88 Takte lang alle drei Themen vor, bevor das Klavier einsetzt und im Wechselspiel mit dem Orchester die drei Themen und andere Motive sozusagen „durchführt“. In der Reprise, dem dritten Teil, finden Orchester und Klavier neu zusammen, das zweite und dritte Thema kehrt in der Tonika wieder. Einige echte virtuose Schmankerl sind in diesem Satz versteckt, etwa die Oktavtriller in der linken und rechten Hand ab Takt 206, oder eine kühne harmonische Rückung von Ces-Dur nach Es-Dur zur Einleitung der Reprise mit einem beeindruckenden chromatischen Aufwärtsgang im Bass.
Auch der zweite Satz ist auf zwei kontrastierende Themen aufgebaut, wobei wieder das sanglichere das zweite ist und – wie im ersten Satz – mit dem Effekt des Borduns arbeitet (der Bass bleibt liegen, während die Harmonien darüber wechseln). Auch hier gibt es wieder kühne harmonische Rückungen, so etwa in Takt 75, 76 und 77 wo Mozart von b-Moll über Fis-Dur nach h-Moll moduliert, von 5 B nach zwei Kreuzen.
Der dritte Satz ist ein finales Rondo mit zwei kontrastierenden Themen und einer zweifachen Coda, in der sich beim Übergang vom ersten zur zweiten Coda erneut eine beeindruckende harmonische Rückung von Es-Dur nach des-Moll vollzieht.
Der eigene Name in Mozarts Handschrift
Ein spielerisches Element des Rekonstruktionsversuches – und mit einem Augenzwinkern zu begreifen – ist ein kleines Geschenk an die Besucherinnen und Besucher des EW-Konzerts: Jeder Gast hat die Möglichkeit, sich ein Billet mit seinem Namenszug ausstellen zu lassen – in der Handschrift Mozarts. Mit Hilfe von spezieller Software haben die Festspiele Europäische Wochen Passau Mozarts Handschrift aus Briefen digitalisiert und in eine Computerschrift umgewandelt. Gäste, die mögen, können sich im Vorfeld – und auch im Nachhinein – eine Eintrittskarte aus Mozarts eigener Hand aushändigen lassen. Ob Mozart seinen Subscribenten wohl ebenfalls handgeschriebene Eintrittsberechtigungen übergeben hat? Auch ist jedem Namen ein historischer Gast zugeordnet: Mozart hat seinem Vater die Namen aller 174 Subscribenten geschrieben. Das Publikum schlüpft quasi in die Rolle der historischen Gäste… einmal als Fürst Schwarzenberg ins Konzert…