„Kulturkampf in Ungarn. Ein Online-Lagebericht“


Autor: Carsten Gerhard,Kategorie: Aktuelles, Kategorie: Allgemein, Kategorie: News

„Kulturkampf“ in Ungarn. Ein Online-Lagebericht

Aufzeichnung vom 28. Oktober 2020

Kulturschaffende kämpfen um ihre Autonomie. Ein Zoom-Gespräch zur Besetzung der Hochschule für Theater- und Filmkunst in Budapest.

Mit Prof. Lászlo Bagossy und Jakob Ladanyi
Moderation: Stephan Oszváth (Journalist) und Agnes Relle (Übersetzerin)
Ein Beitrag zu www.wochen-zur-demokratie.

Seit Anfang September halten StudentInnen in Budapest die Hochschule für Theater- und Filmkunst besetzt. Hintergrund: Die ungarische Staatsregierung hat die Hochschule einer regierungsnahen Stiftung untergeordnet, die die Leitung ausgewechselt und gegen regierungsfreundliches Personal eingetauscht hat. Nun sind Lehrende und Studierende im Streik, einige halten die Universitätsgebäude besetzt. Es ist ein neuer Höhepunkt im Kulturkampf, der in Ungarn tobt. Attila Vidnyánsky, der Stiftungsvorsitzende und Freund Victor Orbáns, möchte an der Hochschule „linksliberale Tendenzen bekämpfen“. Dort seien „christlicher Glaube und nationalkonservative Werte schmerzlich vermisst worden“. So wie an der SZFE beschneidet die Regierung allerorten im Kulturleben Freiheit und Eigenständigkeit der Kulturinstitutionen.

In einem Zoom-Gespräch berichten Prof. Lászlo Bagossy und der Student Jakob J. Ladanyi über die Lage der Kulturschaffenden an der Hochschule im Besonderen und in Ungarn im Allgemeinen.

Die Universität für Theater- und Filmkunst Budapest
Die SZFE ist die bedeutendste ungarische Theater- und Kinotalentschmiede. Sie hat prominente Absolventen, darunter Oscar-Preisträger wie Michael Curtiz oder István Szabó. An der mehr als 150 Jahre alten Institution wurden auch die heutigen Protagonisten des ungarischen Theaters ausgebildet, von Kornél Mundruczó bis Tamás Ascher, von Árpád Schilling bis Viktor Bodó. Prominente wie Salman Rushdie, Cate Blanchett, Helen Mirren und andere haben ihre Solidarität mit der SZFE erklärt, genauso wie Theaterinstitutionen in ganz Europa, darunter auch die deutsche Kunsthochschulrektorenkonferenz.

Lászlo Bagossy
wurde 1967 in Dombóvár geboren, das Abitur machte er 1985 in Pécs, Südungarn. 1991 Diplom an der Janus Pannonius Universität in Literatur und Kunstwissenschaft. Seine Dissertation schrieb er 2015 über Thomas Bernhard. Ab 1990 studierte er in Budapest an der Hochschule für Theater- und Filmkunst Regie bei Gábor Székely. Fünf Jahre später, 1995, schloss er dort sein Studium mit einem Diplom ab. Seither arbeitet er als Regisseur an den beiden wichtigsten ungarischen Theatern, am Katona József Theater und dem Örkény Theater in Budapest sowie in anderen ungarischen Städten. Einige seiner wichtigsten Arbeiten – mehrere davon mit Preisen ausgezeichnet: »Hamlet«, Shakespeare (Örkény Theater); »Der jüngste Tag«, Ödön von Horváth (Katona József Theater); »Der Sturm«, Shakespeare (Örkény Theater); »Heldenplatz«, Thomas Bernhard (Katona József Theater); »König Johann«, Dürrenmatt (Örkény Theater); »Top Dogs«, Urs Widmer (Katona József Theater – seit 2002 ununterbrochen auf dem Programm). 2017 wurde Bagossy beim Theaterfestival in Pécs für seine Ödön-von-Horváth-Inszenierung »Geschichten aus dem Wienerwald« mit dem Hauptpreis »Beste Gesamtperformance« ausgezeichnet. Seit Januar 2018 ist er Leiter des Instituts für Theaterkunst an der Universität für Theater- und Filmkunst. Am 31. August 2020 trat er aus Protest gegen die Einschränkung der Autonomie der Universität von seiner Position zurück.

Jakob Ladanyi (Student)
„Mein Abitur machte ich in der Waldorf Schule Óbuda in 2009. Nach dem Abitur zog ich nach Berlin, wo ich mein Bachelorstudium in Psychologie an der Freie Universität Berlin absolviert habe. Meine Bachelorarbeit schrieb ich 2018 über „Akkulturationseinstellungen in Zusammenhang mit Intergruppenkontakt unter Ungarischen Immigranten in Deutschland”. Im Jahr 2019 begann ich mein Masterstudium an der Universität für Theater- und Filmkunst als Regie-Student.“

Agnes Relle (Moderation)
Agnes Relle, geb. 1959 in Stuttgart als Tochter ungarischer Eltern, 1987-92 als Dozentin für Deutsche Literatur an der ELTE und am Goethe Institut Budapest tätig. Seit 1992 freiberufliche Übersetzerin ungarischer Gegenwartsliteratur u. a. von Imre Kertész, Ferenc Fejtő, Attila Bartis, László Darvasi, Noémi Kiss, László Márton, Gergely Péterfy. Herausgeberin der Bände Bestiarium Hungariae (1999) und Ungarische Ungereimtheiten (2016) mit zeitgenössischer ungarischer Literatur für die Literaturzeitschrift horen. 2006 nominiert für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse, 2012 Europäischer Übersetzerpreis. Sie lebt und arbeitet in Budapest und München.

Stephan Ozsváth (Moderation)
Stephan Ozsváth ist 1965 in Andernach geboren. Sein Vater emigrierte wegen der Teilnahme am Ungarn-Aufstand 1956 nach Deutschland. Studium in Berlin, Granada, Debrecen. Seit 1992 journalistisch tätig. Von 2012 bis 2017 war er Südosteuropa-Korrespondent der ARD. Im Buch „Puszta-Populismus“ beschreibt er die Machttechniken des Viktor Orbán (danube books 2017). Für den Sammelband „Schleichend an die Macht“ hat er sich mit der Instrumentalisierung von Geschichte im heutigen Ungarn befasst (Dietz-Verlag 2020). Aktuell lebt und arbeitet er in Wien und Berlin. Im Wien-Podcast www.tschuschenaquarium.com portraitiert er „Zugereiste“. Weitere Infos: www.der-rundfunker.com